Das Thema GAV in der Callcenter-Branche ist so alt, wie die Liberalisierung des Telekommarktes. Damals, 1998 machte die Gewerkschaft Kommunikation bei der Swisscom Druck, dass externe Dienstleister einem GAV unterstellt werden. Zwanzig Jahre später nun wird ein für die Branche allgemeinverbindlicher GAV eingeführt. Wozu, stellt sich die Frage?
Mit der Liberalisierungswelle Ende der neunziger Jahre kamen auch in der Schweiz Callcenter auf. Primär wurden interne Telefonzentralen, Kundendienstabteilungen und Bestellbüros in die neue Organisationsform umgewandelt. Dazu kamen externe Dienstleistungsunternehmen, welche diese Aufgaben in einem höheren «Industrialisierungsgrad» anboten und eine vergleichbare Leistung günstiger anbieten konnten. Im Gegensatz zu den europäischen Hotspots, wie beispielsweise England, wo gegen drei Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung plötzlich in Callcenter arbeiteten, lag die Quote in der Schweiz immer bei einem bescheidenen Prozent. Immerhin waren um 2010 rund 30'000 Personen in Kundendienstorganisationen tätig. Die Quote der internen Callcenter, bei den Telekomanbietern, den Banken, Versicherungen in grossen Handelsbetrieben oder in Logistikfirmen, lag immer bei rund 90 %. Diese Mitarbeitenden waren traditionell entweder bereits einem GAV unterstellt oder zumindest in einem modernen, sozialabgesicherten Anstellungsverhältnis.
GAV für Dienstleister seit 2002
Die extratel entstand 1998 als SpinnOff aus der Swisscom. Es wurden damals die dezentralen TeleOffice Dienstleistungen in einer Firma zusammengefasst und als moderner Callcenter- Dienstleistungsbetrieb verselbstständigt. Natürlich waren die Anstellungsbedingungen und insbesondere die Löhne nicht die gleichen, wie bei der Swisscom. Die Gewerkschaft Kommunikation hat bereits damals Druck gemacht und mit der extratel den ersten GAV der Callcenter-Branche ausgehandelt. Da Mindeststandards für das Image der Branche als wichtiger Erfolgsfaktor eingestuft wurden, hat sich die damalige LibertyCall AG diesem GAV angeschlossen. Das Ziel war es, dass sich weitere, primär Dienstleister, diesem GAV anschliessen, um ihn letztlich für allgemeinverbindlich zu erklären. Dies ist, wie wir heute wissen, leider nie geschehen. Weshalb?
Die regulativen Kräfte des Marktes
In den letzten zwanzig Jahren hat sich einiges verändert und dies gleich an verschiedenen, entscheidenden Nahtstellen zum Kundenservice.
Automatisierung
Die Automatisierung und der SelfService im Kundenkontakt hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Denken Sie nur an das Bankwesen. Vor ein paar Jahren noch mussten Sie Ihrer Bank anrufen, um zu erfahren, ob ein Zahlungseingang erfolgt ist, ob die Bezahlung funktioniert hat, wie hoch der Kontostand ist u.s.w. Diese vielen telefonischen Kontakte sind durch das eBanking fast komplett verschwunden. Ein anderes Beispiel: Inzwischen werden mehr Bahn-/Bustickets online gekauft, als am Schalter.
Berufsbild Callcenter Agent
Früher war es durchaus möglich, jemanden komplett unerfahrenes einzustellen und mit einer minimalen Schulung ans Telefon zu setzen. Da inzwischen aber viele einfache Aufgaben automatisiert oder eben direkt auf den Kunden überlagert wurden, sind die Anforderungen für die Kundenservice-Mitarbeitenden immens gestiegen. Die fachliche Ausbildung im jeweiligen Berufsbild lassen sich nicht mehr einfach in einer «Schnellbleiche» abhandeln, es braucht eine fundierte Ausbildung. Die Callcenter-Branche hat schon vor Jahren auf die veränderten Anforderungen reagiert und gezielt in die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden investiert. Es wurden hierfür die 3-jährige Berufslehre zur Fachfrau/Fachmann Kundendialog geschaffen. Soeben haben vier Lernende von Callpoint diesen Lehrgang erfolgreich abgeschlossen.
Near- und Offshoring
Seit jeher generiert die Telekommunikationsbranche, im Verhältnis zum Gesamtmarkt, den Löwenanteil des Outsourcing-Volumens. Schon früh wurde in diesem Bereich, mit Ausnahme von Swisscom, das Kosteneinsparungspotential in hohem Masse ausgeschöpft und Arbeitsplätze im Kundendienst in kostengünstige Near- und Offshoring-Länder verschoben. Die lokalen Sprachgepflogenheiten der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten treten dabei zunehmend in den Hintergrund. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Schweiz die Kosten im Vergleich zum Ausland weiter gestiegen sind und durch arbeitsrechtliche Elemente die Konkurrenzfähigkeit des Werkplatzes Schweiz zunehmend unter Druck gerät.
Der GAV der zu spät kam
Inzwischen sind in der Schweiz rund ein Drittel bis die Hälfte der Callcenter Arbeitsplätze verschwunden. Sie wurden entweder nicht mehr gebraucht oder sind ins Ausland abgewandert. Die Tendenz wird aufgrund der Industrialisierung der Dienstleistungsindustrie und der damit zusammenhängenden Automatisierung weiter zunehmen. Die Allgemeinverbindlicherklärung des GAV verursacht einen weiteren Kostenschub und reduziert die Flexibilität bei den Anbietern signifikant. Dies in Kombination mit der ohnehin schon verzerrten Kostensituation im Euroraum, wird die Reduktion der Arbeitsplätze in der Schweiz weiter vorangetrieben.
GAV macht Standortförderung
Immerhin profitieren kurzfristig Randregionen durch den GAV. Aufgrund der unterschiedlichen Mindestlohnansätze macht es nun durchaus Sinn, das Callcenter an Orte zu verlagern, die vom tieferen Ansatz profitieren. Bewegungen dieser Art sind bereits zu beobachten, so verlagerte beispielsweise die Firma CCC ihren Standort von Zürich nach Biel. Der Unterschied von einem Callcenter im Grossraum Zürich zu beispielsweise der Ostschweiz macht satte 12 % alleine in den Lohnkosten aus. Wenn man nun noch die Infrastrukturkosten der grossen Agglomerationen dazu nimmt, macht die Differenz rasch 20 % aus. Ziemlich happig bei einem Räppler-Business. Sicher ist, weder die Auftraggeber und schon gar nicht die Kunden werden die Mehrkosten aus dem GAV tragen.
Fazit
Der GAV kommt 20 Jahre zu spät. In einer Zeit, wo es darum geht mit innovativen Lösungen Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, zementiert dieser GAV die Situation, macht unflexibel und heizt die Kosten weiter an. Dazu kommt noch, dass dieser GAV auf max. 5'000 Mitarbeitende greift, welche ohnehin die meisten schon in einem Arbeitsverhältnis sind, welches die Anforderungen des GAV bereits abdeckt. Der einzige Unterschied für sie machen die Lohnabzüge für die Vollzugskosten, um einen administrativen Rohrkrepierer mitzufinanzieren.